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Die Edition Schrittmacher wird herausgegeben von: Michael Dillinger, Sigfrid Gauch, Arne Houben, Gabriele Korn-Steinmetz.


Der Reporter / Der schwarze Vorhang
Edition Schrittmacher Band 21
Der Reporter/Der schwarze Vorhang

Zwei Novellen •
Norman Ohler
12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-221-8
Preis: 10,00 EUR


Der Autor:
Norman Ohler,
1979 in Zweibrücken geboren, ging nach dem Besuch der Hamburger Journalistenschule 1992-93 nach New York. Weltweit erster Internetroman »Die Quotenmaschine«, 1996 auch als Buch. Weitere Veröffentlichungen: »Mitte« (Rowohlt, 2002). 2004 Stadtschreiber von Ramallah und Jerusalem. 2007 Co-Autor mit Wim Wenders am Drehbuch »Palermo-Shootings«. Ausgezeichnet wurde Norman Ohler 1998 mit der Fördergabe für Literatur des Bezirksverbandes Pfalz, 1999 mit dem Martha-Saalfeld-Preis des Kulturministeriums Rheinland-Pfalz und 2003 mit dem Förderpreis zum Staatspreis des Landes Rheinland-Pfalz. Heute lebt er als freier Autor in Berlin, seit 2008 mit einer kleinen Tochter.

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Inhalt:

»Der schwarze Vorhang« und»Der Reporter« – zwei Novellen. Wir begeben uns auf die Reisen nach New York in ein mysteriöses Etablissement in der Nähe des Times Square – und nach Wien zu einem Prozess gegen vier Hilfskrankenschwestern, diedes vielfachen Mordes angeklagt sind. Und sowohl in der alten wie in der neuen Welt versucht die Vergangenheit, uns die Gegenwart streitig zu machen


Leseprobe

Norman Ohler

Das Licht war diesig, und ein kugelförmiger Schein hing um alle eingeschalteten Laternen. Ich war früh in Midtown angekommen und befand mich zunächst alleine in Raum Nummer Fünf, der im Winterhalbdunkel bar aller Farben lag, dabei so sauber aufgeräumt, perfekt geputzt wie die Wohnung von Adam, doch war hier alles in schwarz gehalten statt in weiß. Kurz legte ich meine Hand um einen der Transistorenpfosten, die das Bett stützten. Kühl fühlte er sich an.
Ich machte mich bereit für die Schicht und durchstöberte meine kleine Handbibliothek, und sobald der Klient im Bett lag und Mioko ihn band, begann ich mit ein wenig Blechtrommel, eines meiner Lieblingsbücher als Kind.
»Die Trommel lag mir schon maßgerecht. Himmlisch locker ließ ich die Knüppel in meinen Händen spielen und legte mit Zärtlichkeit in den Handgelenken einen kunstreichen, heiteren Walzertakt auf mein Blech, den ich immer eindringlicher, Wien und die Donau beschwörend, laut werden ließ, bis oben die erste und zweite Landsknechttrommel an meinem Walzer Gefallen fand.«
Nach ein paar Minuten allerdings bemerkte ich, dass meiner Lesung irgendwie das Feuer fehlte. Die Geräusche, die von der anderen Seite kamen, waren eher verhalten, und ich fragte mich, wo das Problem wohl lag. War der Text vielleicht nicht sexy genug, um unseren verwöhnten Klienten zu kitzeln? Womöglich operierte Die Blechtrommel, in den 50ern verfasst, ein wenig zu vorsichtig, zu moralisch verantwortungsvoll. Vielleicht war Grass dem Horror so nahe gewesen, dass er zu sehr versuchte, genau das Richtige zu sagen und zu versöhnen, um die Vergangenheit «in den Griff zu bekommen«. Ich konnte dies in der Kürze der Zeit nicht zu Ende untersuchen, sondern hatte keine andere Wahl, als erneut nach Rilke und seiner merkwürdig intensiven Weise von Liebe und Tod zu greifen, die noch immer auf dem kleinen Holztisch vor mir lag.
»Er denkt an ein blondes Mädchen, mit dem er spielte. Wilde Spiele. Und er möchte nach Hause, für einen Augenblick.«
Ich hörte, wie der Klient tief durchatmete, geradeso als bestätige er meine Textauswahl, und spontan drehte ich das kleine Buch um, um mir anzuschauen, was auf der Rückseite darüber geschrieben stand – und las kurzerhand den Klappentext vor, der berichtete, dass Die Weise von Liebe und Tod bis spät in den Zweiten Weltkrieg hinein ein Bestseller gewesen und von vielen deutschen Soldaten im Sturmgepäck mitgeführt worden war. Vor wichtigen Schlachten, so hieß es, hätten Offiziere ihren Untergebenen nahe gelegt, darin zu schmökern, da die Geschichte, ganz germanischer Mythologie entsprechend, von jener »Ehre und Freude« erzähle, im Kampf sich zu opfern, zumal gegen einen übermächtigen Feind. Der Text, von dem Rilke sich gegen Ende seines Lebens distanzierte, wurde deswegen auch Die Selbstmordfibel genannt.
»Und abends halten sie ihm Laternen her, seltsame. Wein, leuchtend in eisernen Hauben. Wein? Oder Blut? – Wer kann es unterscheiden?
Und einer steht und staunt diese Pracht. Und er ist so geartet, dass er wartet, ob er erwacht. Denn nur im Schlafe schaut man solchen Staat und solche Feste solcher Frauen: ihre kleinste Geste ist eine Falte, fallend in Brokat. Sie bauen Stunden auf aus silbernen Gesprächen, und manchmal heben sie die Hände so – , und du mußt meinen, dass sie irgendwo, wo du nicht hinreichst, sanfte Rosen brächen.«
Ich machte eine kurze Pause. Unwillkürlich wanderte mein Blick über den schwarzen Vorhang. Eine der hellen, geschwungenen Steppnähte fiel mir ins Auge, und ich folgte ihrem Verlauf. Ganz allmählich variierte ihre Färbung und dunkelte über in ein Grau, und in genau diesem Moment hörte ich etwas. Der Klient hatte etwas gesagt. Es war nur ein einziges Wort gewesen, ich hatte es nicht verstehen können.
Und dann sprach unser Kunde einen vollständigen Satz, auf Englisch, und sofort unterbrach ich Rilkes Weise von Liebe und Tod, um ihn auch ja verstehen zu können.